Verbandsbeschwerderecht: Nötiger denn je

 

Der Präsident der FDP Graubünden Christian Rathgeb will mit einer Volksinitiative das Verbandsbeschwerderecht eindämmen. Im Auge hat der Jurist den Entzug des Beschwerderechts nach Volksentscheiden. Diese Haltung erstaunt, die Idee macht weder inhaltlich noch staatsrechtlich Sinn.

Über das Verbandsbeschwerderecht wird zur Zeit in der Rechtskommission des Ständerates debattiert. Präsident der Kommission ist Ständerat Rolf Schweiger aus Zug, gleichzeitig auch Präsident der FDP Schweiz. Die Rechtskommission geht gründlich vor. Von einer Abschaffung des Beschwerderechts der Umwelt- und Naturschutzorganisation oder von einer substantiellen Schwächung ist nicht die Rede. Das Verbandsbeschwerderecht hat sich trotz zahlreichen Angriffen - insbesondere aus dem Lager der SVP - seit fast 40 Jahren als effizientes Mittel zum Interessenausgleich und zum Vollzug der Umweltvorschriften bewährt.

Recht soll Recht bleiben
Ausgelöst durch die Emotionen und die Polemik rund um das Fussballstadion in Zürich will nun die Bündner FDP zusammen mit den kantonalen Sektionen Zürich und Wallis den laufenden, gründlichen parlamentarischen Weg verlassen und eine populistische Volksinitiative lancieren. Dies, obwohl für das vorläufige Scheitern des riesigen Einkaufszentrums mit Fussballfeld in Zürich das Verbandsbeschwerderecht nachweislich nicht verantwortlich ist. Im Zentrum der FDP-Initiative soll demnach der Wunsch stehen, das Verbandsbeschwerderecht nach Volksentscheiden abzuschaffen. Doch darf die Umsetzung von Volksentscheiden gesetzeswidrig sein? Dazu schreibt die der FDP traditionell nahe stehende Neue Zürcher Zeitung am 25. August 2004: "Volksentscheide sind meist Planungsaufträge oder Entscheide über einen finanziellen Beitrag. Sie fallen vor der Auflage des konkreten Bauprojektes. Deshalb können auch die Anwohner ihre Rechte erst später geltend machen." Zu diesem Schluss kommt auch das Rechtsgutachten von Dr. iur. Daniela Thurnherr, Oberassistentin an der Universität Luzern (März 2004).

Kein Umweltdumping
Nicht nur in Zürich, auch anderswo – und gerade auch im Berggebiet, wo die Gemeinden oft von einflussreichen Investoren abhängig sind - kommt es vor, dass Einzonungen und Bauvorhaben trotz Vorbehalte der Planungsstellen und der Umweltverbände dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Solche Entscheide sind raumplanerisch ungünstig und nicht im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Die rasante Zersiedlung unseres Landes hat negative Folgen für Natur und Landschaft – und auch negative volkswirtschaftliche Auswirkungen (Lebensqualität, Tourismus). Die FDP kann daher nicht wollen, dass Gemeindeabstimmungen den im Bundesrecht geregelten Natur-, Umwelt- und Landschaftsschutz aushebeln. Und es kann auch nicht sein, dass sich Gemeinden Standortvorteile verschaffen, indem sie Umweltdumping anbieten. Ziel muss es vielmehr sein, dass die Interessenabwägung weiterhin gewährleistet ist und dass die demokratisch gewählten Behörden in Konfliktfällen gesetzeskonform und rasch entscheiden. Mit entsprechender Koordination auf Planungsebene ist in der Schweiz unter Einhaltung von Raumplanungszielen und Luftreinhalteverordnung grosses Bauen sehr wohl möglich. Hierzu leistet das Verbandsbeschwerderecht einen nützlichen, produktiven, unverzichtbaren Beitrag – im Interesse aller.

Es wäre zu begrüssen, wenn die FDP-Graubünden sich die Sache nochmals gut überlegt und nicht im Chor der unverantwortlichen Rechtsabbauer mitsingt. Auch im Kanton Graubünden hat sich das Zusammenspiel zwischen wirtschaftlicher Nutzung und Schutz der Landschaft bisher bewährt. Den Standortvorteil einer intakten Natur und Landschaft wollen wir nicht preisgeben.

Silva Semadeni, Präsidentin Pro Natura Schweiz

 

Aqua Viva, Archäologie Schweiz, Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, Alpen-Initiative, Equiterre, Greenpeace, Greina-Stiftung, Helvetia Nostra/Fondation Franz Weber, Mountain Wilderness, Naturfreunde Schweiz, Praktischer Umweltschutz Schweiz, Pro Natura, Rheinaubund, SAC-Schweizer Alpenclub, Schweizerische Energie-Stiftung, Schweizerischer Fischerei-Verband, Schweizerische Gesellschaft für Höhlenforschung, Schweizer Heimatschutz, Schweizer Wanderwege SAW, Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, SVS/BirdLife Schweiz, VCS Schweiz, WWF.